Wie wir über Kinder sprechen

nicht in Gänze sondern in einem Detail:

Wie ich selbst über mein totes Kind und potenzielle Folgekinder spreche. Muss mir selbst auf die Zunge beißen und mir Mühe geben statt „wenn wir mal Kinder haben“ lieber „wenn wir mal Kinder großziehen“ oder „wenn mal Kinder bei uns aufwachsen/großwerden“ zu sagen. Eine Sprechübung. Wir haben schon ein Kind. Ich will nicht so tun, als sei es nie gewesen. Wir „haben“ es nicht mehr. (Kacke.)
Ich kann gut unterscheiden zwischen „Kinder haben“ und „Kinder selbst machen/selbst gemachte Kinder haben“, ich passe auf, dass ich die Begriffe präzise benutze, vor allem, wenn ich an Pflegekinder und Elternschaft von Pflegekindern denke. Und hatte einen Klickmoment, der beides verbindet:
Wäre es nicht viel schöner, wenn wir insgesamt mehr davon sprechen würden, dass wir oder andere Kinder großziehen, Erziehungsverantwortung für sie haben/übernehmen als dass wir oder andere diese Kinder „haben“? Es könnte nicht nur verwaisten Eltern die Antwort auf die fiese Frage „Wie viele Kinder hast du eigentlich?“ erleichtern, es könnte gut zutreffender für alle möglichen Formen von Elternschaft sein. Weniger sprechen über einen Status und mehr darüber, was getan wird. Das braucht nur ein bisschen Übung.
„Ziehst du eigentlich Kinder groß?“
„Wieviele Kinder wachsen bei/mit dir auf?“

Wie wir über Kinder sprechen

wenn sie noch nicht geboren sind:

Das fuchst mich auch. Und ist kompliziert verwoben mit der Aussicht ein Kind zu bekommen, das nach der Geburt sterben kann. Ich mag den Begriff „ungeborenes Kind“ nicht, erst recht nicht „ungeborenes Leben“. Unabhängig davon, dass er mich an „Untote“ erinnert, und yay, bei solchen crazy batshit-Nachrichten liegt der Gedanke an Babyzombies nah, haha. Ich bin abgestoßen von persönlichkeitszuweisenden Begriffen für Föten, davon, wie Abtreibungsgegner_innen vor allem in den USA versuchen, Föten mit Persönlichkeitsrechten auszustatten, ich finde den Begriff Fötus voll super, weil er darauf hinweist, dass es sich nicht um eine selbstständige separate Entität handelt, sondern ein Ding in einem anderen Menschen drin. Aber ich erinnere mich auch daran, wie wichtig es während der letzten Schangerschaft war, liebevolle Namen zu haben, an der vermeintlichen Persönlichkeit meines Kindes zu stricken, weil da mehr nach der Geburt nichts mehr sein, sich nichts entwickeln würde würde. Ambivalenzen, Alter! Jetzt überlege ich rum, wie sich gut über Schwangerschaften und kommende Kinder sprechen lässt; mit Respekt, aber ohne in Antiabtreibungsrhethorik zu fallen oder sie zu füttern.

Habt ihr Ergänzungen und andere Ideen, wie man diese Dinge besser benennen kann? Wie macht ihr das?

16 Kommentare zu „Wie wir über Kinder sprechen

  1. Hey,
    es ist sicher nicht leicht, mit dem, was war, umzugehen und darüber zu sprechen. Ein Stück weit nachvollziehbar, aber im Großen und Ganzen fehlt mit da der eigene Erfahrungshorizont, wird mir wohl auch immer fehlen. Daher würde ich sagen: wie du darüber sprechen kannst und möchtest, ist ganz allein deine Sache. Du wirst wissen, was sich schlecht anfühlt, und was weniger schlecht.

    Ansonsten kann ich trotzdem ein paar Gedanken beisteuern: ich hab mir nie so genaue Gedanken um den Begriff „Kinder haben“ gemacht, aber dachte eigentlich immer, das wäre eine recht allgemeine Bezeichnung. Wenn ich eine Person oder ein Paar mit Kind(ern) sehe, dann denke ich „die hat/haben ein Kind / Kinder“ und denke gar nicht erst darüber nacht, ob die nun selbst gezeugt / ausgetragen oder z.B. adoptiert sind. Daher halte ich es für durchaus möglich, den Begriff „Kinder haben“ für ein breiteres Bedeutungs-Spektruk zu reclaimen, anstatt neue Begriffe zu finden.

    Andererseits ist es schwer bis unmöglich, einen Begriff einfach weiter zu verwenden, und dabei zu beeinflussen, was andere darunter verstehen. Ein neuer Begriff ist da natürlich eindeutiger.

    Ich bin ein wenig hin- und hergerissen, welchen Stellenwert ich biologischer Elternschaft gebe. Insgesamt halte ich sie für stark überbewertet und finde daher vieles gut, was dazu führt, den Fokus auf Versorgung, Verantwortung, Erziehung und Liebe zu legen, weniger auf Genetik.

    Andererseits denke ich schon, dass (ca.) 9 Monate Schwangerschaft emotional viel bewirken. Für mich heißt das, es wäre mir völlig egal, ob ein Kind aus meiner Samen- oder Eizelle oder sonst irgendwie aus meinem Erbgut entspringt, aber die Zeit der Schwangerschaft würde ich gerne mit ihm Teilen. Warum genetische Verwandschaft für (viele) Männer einen emotionalen Stellenwert hat, werde ich vermutlich nie verstehen.

    Was das Denken und Sprechen über Föten, Embryonen und „ungeborenes Leben“ angeht, so hab ich mich irgendwie damit abgefunden, dass da keine absolute Wahrheit zu suchen und zu finden ist. Ich glaube nicht daran, dass es „den“ Zeitpunkt gibt, wo totes lebendig wird, oder eine Unperson zu Person, oder ein bedeutungsloser Zellhaufen zum vollwertigen Menschen. Ich halte das objektiv betrachtet für einen langen Prozess, der sich über die Zeit der Schwangerschaft und vielleicht sogar auch eine Zeit darüber hinaus erstreckt. (Ich meine, ich habe teilweise erst mit 11 Jahren gewisse Merkmale Entwickelt, die mich nach meiner Defintion so voll und ganz zur Person machen, wie könnte ich da an eine harte Grenze vor oder genau während der Geburt glauben?)

    Aber auch hier gilt: Alle Menschen haben ihre eigenen Erklärungsansätze. Du kannst vielleicht Worte finden, Begriffe und Defintionen, eine willkürlich gesetzt Grenze, ab wo du dein Kind als Kind ansiehst, nicht mehr nur als Fötus. Und dann ist das ok. Aber andere werden das stets anders sehen. Wenn es dabei um deren Föten und Kinder geht, dann haben sie damit vermutlich vollkommen recht. Und solange es nicht ihre eigenen sind, sollen sie sich einfach mal zurückhalten und die sprechen lassen, die es betrifft.

  2. Ich sagte und dachte einfach immer nur „Funke“. Zuckender lebendiger Funke, der vielleicht ein Feuer wird.
    Nein es hat keine Persönlichkeit wenn es wächst- nur Kraft irgendwie. Ich finde so „Funke“ ist ein gutes Wort, weil es nicht Nichts- aber auch nichts schon da-iges ist.
    Manches muss man auch, find ich, keine Wörter vor anderen Leuten haben. Ich find, grad wenn man von Kindern spricht, dann wird so viel genohmmen. Die anderen Leute wissen dann immer alles besser, man muss sich soviel Meinung nachen, nur weil andere einem dauernd rein reden (wollen). Dann ist das Bild und das Wort das man für das was in einem wächst und zuckt und lebendig ist, auch manchmal das Einzige das man wirklich ganz für sich hat.
    Ich glaub manche Leute vergessen auch immer, dass man in der Schwangerschaft grad Leben macht. Eigentlich was total geil spannendes. Uriges. Irgendwie einfach so. Aber anstatt dass man mal die Klappe hält und ienfach nur staunt, sich hinsetzt und zuguckt muss man das gleich bequaken und „Kind“ nennen. Anstatt es einfach erstmal so zu sehen wie es ist: Leben under construction.

  3. Über den zweiten Teil muss ich noch nachdenken. Beim ersten Teil hast Du den wunden Punkt getroffen. Das Wort „haben“. Dass Eltern – welcher Art auch immer – ihre Kinder immer als Besitz bezeichnen fällt mir -der Kinderlosen – schon seit Jahrzehnten auf.
    Übrigens bezeichne ich mich selbst nur als Kinderlose, weil diese Bezeichnung verstanden wird. In meinem Leben gab es immer Kinder denen meine Aufmerksamkeit galt. Das zieht sich durch drei Jahrzehnte Erwachsenenzeit durch und auch die Erkenntnis, dass der Umgang mit Kindern nicht nur mit Besitzverhältnissen verbunden ist. Auch nicht mit Verwandschaft.

    Noch mal zurück zum Kinderbesitz. Das es Bereich gibt, die auch vom Besitz geprägt sind, leuchtet mir ein: die elterliche Sorge, aber auch die enge emotionale Bindung zum Kleinkind usw. Was mir aber immer aufgestoßen ist, ist die Ausschließlichkeit des Besitzbegriffes.

    Vielleicht gefällt mir daher der Begriff Kinderlose auf eine ironische Art: ich bin die, die die Kinder nicht besitzt.

  4. Hallo,
    ich denke, „haben“ ist eigentlich ein recht unspezifisches Verb. Es markiert zwar Besitz, aber doch viel weniger stark als „besitzen“ oder „gehören“. Und dann ist es auch noch als Hilfsverb unterwegs.
    Ich habe so viel – ich habe ja nicht nur ein Kind oder zwei, sondern auch Brüder, Eltern, und meine Großeltern habe ich in der Vergangenheitsform. Ich habe eine Allergie und eine Begabung, ich habe Heimweh und Sehnsucht, ich habe auch ein graues Sofa, auf dem ich gerade sitze, aber ich habe (!) es nicht selbst gekauft und nicht geschenkt bekommen, aber ich habe einen Liebsten, mit dem ich zusammenwohne, und darum „haben“ wir sein Sofa halt hier und wir haben es, nicht nur er. Darum haben *wir* auch ein Kind, das wiederum noch eine zweite Familie hat (oder eine andere, ohne Reihenfolge), und wir wünschen uns außerdem noch ein gemeinsames Kind. Und unser Kind hätte dann ein Geschwisterchen, ohne dass es damit einen Menschen besitzen würde. Aber es hätte eine Beziehung zu ihm, eine formale und eine Herzensbindung.
    Ich denke, man muss „haben“ nicht verkomplizieren. Und ein Kind zu haben ist viel mehr, als es aufziehen, mehr als Erziehungsauftrag. Darum finde ich Bezeichnungen wie „ich ziehe ein Kind groß“ (und wäre da dann auch implizit „und eines wollte ich großziehen, aber es geht leider nicht“?) ziemlich technisch und zu funktional.
    Je nach Kontext wird man ja dem Gegenüber sowieso sagen, dass man schon ein Kind bekommen hat, dass da eigentlich noch jemand sein sollte und auch kurz, dass Euer Haben eine Gegenwarts- und eine Vergangenheitsform hat. Oder eben nicht, wenn es ihn nichts angeht. Und ob die Zufallsbegegnung im Bus, die fragt, „ach, wie niedlich, haben Sie noch mehr Kinder?“ mit einer in diese („ja, haben wir“) oder die andere Richtung („das ist mein einziger Sohn“) unvollständigen Information aussteigt, ist vielleicht irgendwann auch nicht mehr relevant, denn Ihr (und auch das zweite oder dritte Kind) werden wissen, wie es ist mit den Geschwistern, die sie haben. (Eine tote Schwester hat man ja auch. Auch Vergangenheits-haben ist haben.)

  5. Also, ich habe zwei Kinder, eines ist gestorben, ein anderes wird bald geboren. Mein gestorbenes Kind kann ich nicht groß- oder erziehen. Ob ich nun erzähle, was passiert ist und ob ich Kinder habe, hängt sehr von der Situation und vor allem von den Leuten ab, mit denen ich gerade spreche.
    Ich denke auch, dass es für die allermeisten Menschen, wenn sie den ehrlich sind, einen Unterschied macht, ob ein Kind das eigene oder ein fremdes ist (so heißt es ja nicht zufällig oft). Was gar nicht heißen muss, dass ich ein fremdes Kind weniger achte. Aber die Vorstellung, die ich über meine eigenen Kinder habe, sind doch viel stärker mit meinen Wünschen behaftet. Andererseits lernen sich Eltern oder sorgende Menschen und die Kinder immer erst kennen, die Beziehung wächst (oder eben nicht) und das ist ein Aspekt, der bei dem ganzen Natürlichkeitsgeschwafel immer unter geht.
    Wenn ich sage, ich ‚habe‘ Kinder, drückt das tatsächlich ein Verhältnis wie zu einer Sache aus, die keine Selbständigkeit hat. Andererseits ist es auch ehrlich, denn sorgende Menschen haben immer Macht über die Kinder, oder Autorität. Da kommen wir gar nicht drum herum und ich find’s eher wichtig, zu fragen, wie ich damit konkret umgehe, wenn das Kind sich dieser Autorität entziehen will – dann aber wieder doch nicht usw.

  6. Ja, was Percanta sagt, wollte ich auch sagen – das Problem am Wort „haben“ ist, dass wir es heute fälschlicherweise zu schnell mit „besitzen“ oder „darüber verfügen können“ gleichsetzen, aber wenn man das Wort von dieser „kapitalistischen Engführung“ befreien würde, wäre es eigentlich doch ein passendes.

    Was die Frage nach einem passenden Wort für „Menschen vor ihrer Geburt“ betrifft, so finde ich es wirklich schade, dass wir dafür kein „schönes“ Wort haben. Fötus finde ich nicht schön, es macht dieses Etwas zu einem Ding und klingt so medizinisch. Ich finde eigentlich „persönlichkeitszuweisende“, also auf der Schon-Mensch-Sein verweisende Bezeichnungen nicht schlimm, sondern angemessen, das Problematisch an ihnen ist ja, wie du schon schreibst, erst die Art und Weise, wie der Anti-Abtreibungs-Diskurs das instrumentalisiert. Ich glaube, dass sich die Frauenbewegung hier hat von ihren „Gegnern“ auf ein falsches argumentatives Gleis führen lassen, indem sie als Gegenreaktion auf „Leben darf man nicht töten!!!!“ argumentiert hat mit „Das ist doch noch gar kein Leben!!!“

    Luisa Muraro hat mal darauf hingewiesen, dass es beim Thema Abtreibung nicht um ein „Recht“ von Frauen geht (dem das Recht des ungeborenen Kindes entgegenstünde), sondern um eine schmerzvolle Notwendigkeit, die die schwangere Frau an einem bestimmten Punkt sieht. Die Frage ist also nicht, ob „man“ abtreiben darf, sondern wer darüber entscheidet – die Ärzte, das Gesetz, die Allgemeinheit, die Familie oder eben die schwangere Frau selbst. Ich würde immer in die Richtung diskutieren, dass das noch nicht geborene Kind ein Teil des Körpers der schwangeren Frau ist und daher diese Frau diejenige ist, die über das alles zu entscheiden hat, einfach, weil es um einen Teil ihres Körpers geht und der eigene Körper „unveräußerlich“ ein Teil des Selbst ist. Wenn wir das so sehen, dann spricht überhaupt nichts dagegen, den Fötus als Teil des Körpers einer Schwangeren als „richtiges Leben“ oder „eigene Persönlichkeit“ zu verstehen und entsprechend Beziehungen dazu aufzubauen. Dieses „Zu-Zweit-in-Einer“ als menschliche Lebensform ist sowieso eine sehr interessante Sache, wenn wir über Konzepte von Individualität und Abhängigkeit und Aufeinander-Angewiesen-Sein und Freiheit etc. nachdenken.

    Nur unser übliches Paradigma von Individualität als Unabhängigkeit lässt das nicht zu und wir glauben uns entscheiden zu müssen zwischen „es sind zwei verschiedene Individuen“ (was bedeutet, dass die eine das andere nicht „töten“ darf) und „es ist ein Fötus ohne jede eigene menschliche Qualität“ (was bedeutet, dass man diesem „Ding“ keine eigene Persönlichkeit und menschlichen Wert zusprechen darf). Das ist aber eine falsche Alternative, es ist weder das eine noch das andere.

  7. PS: Um nochmal auf dem Besitz-Aspekt des Wortes „haben“ rumzureiten (das mit der Vergangenheitsform kann ich nicht lösen); mir fiel noch ein, dass wir ja auch „mein Bruder“, „mein Freund“ und ebenso „meine Mutter“ oder „mein Sohn/ meine Tochter/ mein Kind“ sagen. Ist Dir das auch zu besitzergreifend? Für mich drückt das „mein“ an der Stelle eher eine Beziehung aus als einen Besitz, auch wenn das Possessivpronomen natürlich genau das ausdrückt.

  8. Vielen Dank für eure klugen Antworten und dafür meine Gedanken weiterzustupsen.
    Mir ist aufgefallen, dass ich mit dem vermeintlich besitzergreifenden von „haben“ nicht unbedingt ein Problem habe (haha), denn ich sage auch sowas wie „wenn wir mal ein Kind bei uns haben/wenn wir mal ein Kind haben, das wir behalten“.
    Und ich zweifle, ob das, was ich mir für mein eigenes Sprechen wünsche, wirklich so super für andere ist. Auch Pflege- und Adoptiveltern „haben“ diese Kinder ja. Wie ist es für Menschen, deren Kinder andere Leute großziehen? Ist die Frage ob sie Kinder haben gemein, weil sie vielleicht retraumatisiert, immer wieder? Oder ist die Frage, ob sie Kinder großziehen gemein, weil sie darin keine Gelegenheit bekommen, über die Kinder zu sprechen, die nicht mehr bei ihnen sind? Wollen Menschen, die diese Frage stellen, wirklich wissen, wie viele Geburten jemand hinter sich haben oder nicht eher, welche Rolle Kinder im Alltag von jemandem spielen? Können Kinder nicht auch trotz Abwesenheit eine Rolle im Alltag von jemandem spielen?
    Das ist alles ganz schön tricky. Wie gut ist es eigentlich, Sachen sprachlich vereinfachen und präziser machen zu wollen, die nicht einfach sind, es wahrscheinlich nicht werden? Wie geht das?

    Zur zweiten Frage:
    Wenn ich an ein „ungeborenes Kind“ denke, denke ich diffus an ein vielleicht bekleidetes recht großes Kind, denke an einen nachgeburtlichen Entwiklungsstand, aber mit dem Wissen, dass es sich um eine Schwangerschaft handelt, die zwei Sachen gleichzeitig nebeneinander, nicht ineinander. Wenn ich an einen Fötus denke, denke ich an was Dunkles, denke an eine Fruchblase, etwas, das noch nicht „fertig“ ist. Ich mag das. Ich finde, diese Vorstellung trifft es viel besser. Ja, es ist ein sehr medizinischer, technischer Begriff, aber nicht einer, dem ich Leben absprechen würde. (Ich finde die Frage ob, und ab wann offiziell etwas namens „Leben“ beginnt, für Abtreibungen nicht relevant, glaube, Fristen gehen am Kern des Problems vorbei.) Ich würde den Begriff Fötus gerne reclaimen, mit Liebe füllen. In der letzten Schwangerschaft habe ich „Keimling“ gesagt; weil das die Qualität eines (tadaaa: persönlichkeitszuweisenden) Eigennamens hat, kann ich den gleichen Begriff nicht für weitere Schwangerschaften benutzen. Baby geht auch irgendwie, ich mag es, wenn Menschen, die ich mag (ha!) das oder andere Kosenamen für den Inhalt meiner Schwangerschaft benutzen, aber ich glaube bei politischen Auseinandersetzungen taugt es nicht, ich finde, dafür klingt es zu angezogen, zu niedlich, zu „wie kann man nur kleine zuckerschnuckelige Kätzchen töten. BESTIEN!einselll111“, if you know what I mean.
    Und wieder die Frage: Wie wird man sprachlich superfies komplexen Sachen gerecht?

    (Antje, ich mag den Bgriff der schmerzhaften Notwendigkeit. Als ich vor der Entscheidung stand, war es vor allem eine Entscheidung darüber, welchen Schmerz ich tragen will. Weil ich wusste, ich komme nicht ohne körperliche Schmerzen aus der Schwangerschaft raus, und dann sollen es wenigstens solche sein, die /ich/ mir ausgesucht habe, von denen /ich/ vermute, dass ich sie am Besten tragen kann.)

  9. Also was das Sprechen über Föten angeht: Ich bin der Meinung, dass die betreffende Schwangere zu bestimmen hat, wie ihr Fötus genannt werden soll. Ich halte es für übergriffig, ihr da persönlichkeitssuggerierende Begriffe wie „Kind“ oder „Baby“ aufzudrängen, wenn sie es lieber einfach als „Fötus“ bezeichnet haben will, genauso übergriffig finde ich es aber auch, ihr ausreden zu wollen, ihren eigenen Fötus als „Baby“ oder was auch immer zu bezeichnen.
    Objektiv betrachtet ist ein Embryo in der frühen Schwangerschaft natürlich noch längst kein Kind, trotzdem dachte ich in dieser Zeit schon an meinen Embryo als mein Kind. Für mich stellt das keinen Widerspruch dar, ich wusste, dass es noch keine Persönlichkeit hat, sondern vielmehr nur ein Teil meines Körpers ist, aber emotional war da eben doch mehr, auch wenn das noch eher fiktiv war. Letztlich sollte man immer der Schwangeren selbst zugestehen, zu entscheiden wie sie das sieht und bewertet. Daher würde ich mich im persönlichen Gespräch immer dem anpassen, wie die Schwangere selbst es nennt, in politischen oder allgemeinen Diskussionen bevorzuge ich den medizinischen Begriff.

  10. Puh, grade Deinen Blog entdeckt und an Deinem Text sehr hängengeblieben… Besonders am zweiten Teil. Und weil Du fragst: Meine Kinder – dasjenige, das tot zur Welt kam und auch die anderen beiden – waren auch vor der Geburt schon „meine Kinder“. Das sagt für mich nichts über den Entwicklungsstand des Fötus aus und nichts darüber, ob er schon alleine lebensfähig wäre. Sondern darüber, dass ich eine Beziehung zu diesen sich entwickelnden Wesen hatte, eine Beziehung, die real war, auch wenn sie aus meinen Träumen und Hoffnungen und Wünschen bestand. Da war kein „Ding“ in mir drin, sondern die Möglichkeiten eines ganzen Lebens. So habe ich das wahrgenommen – ohne jetzt zu verlangen, dass es bei anderen auch so sein muss. Und um diese Träume und Hoffnungen und Wünsche habe ich getrauert, als mein Baby in der 30. SSW gestorben ist. Vielleicht ist meine Wortwahl diejenige, von der Du glaubst, dass sie den Abtreibungsgegnern viel zu sehr entgegenkommt. Aber es ist eben genauso wie Du schreibst: superfies komplex. Ich weiß, dass ich in Situationen kommen könnte, in denen ich abtreiben würde. Nur würde ich es tun in dem Bewusstsein, dass ich die Möglichkeiten eines ganzen Lebens damit auslösche. Ich denke es hilft nicht, die Beziehung zu diesen Möglichkeiten – die, meine ich, viele Frauen schon sehr zeitig in der Schwangerschaft einfach haben – durch eine technisierte Wortwahl „wegzureden“. Und ich vermute, auch nach einer Abtreibung gehört ein Stück Trauer um diese Möglichkeiten dazu.
    Wenn ich jetzt gefragt werde, wie viele Kinder ich habe, ist die Antwort wohl eher zwei. Aber wer mir nahesteht, weiß auch, dass ich ein drittes Kind hatte. Und das hat wieder mit der Beziehung zu tun, mit den Spuren, die dieses dritte Kind in unserer Familie hinterlassen hat.

  11. Mir stößt das Wort „haben“ in Bezug auf Kinder schon lange auf. Denn im Gegensatz zum Sofa, zu den Geschwistern und Großeltern, ist ein Kind abhängig, wehrlos in einer asymmentrischen Beziehung aller empfindlichster Sorte „gefangen“. Kinder wurden lange als Besitz ihrer Eltern gesehen und auch heute ist „Das ist MEIN Kind“ ein totschlag argument, wenn mensch rüde Eltern darauf hinweist, dass es dem Kind unter umständen nicht gut tut, wenn man es am Hals packt und schüttelt. Dass Kinder eigene Individuen sind, ist rechtlich noch nicht all zu lang so. Und die Kinderrechte, was wissen wir schon über die? Wo stehen die? Wie verbindlich sind die? Wer hat sie aufgestellt? Wer anerkannt (Die USA zum Beispiel nicht, weil die Kinder tatsächlich als Eigentum der Eltern behalten wollten). Tun wir nicht so, als wären „wir “ über diesen Punkt erhaben. Auch wenn Kinder aus einer Familie rausgenommen werden, wird oft vom Wegnehmen gesprochen. Aber mensch nimmt niemanden das Kind weg. Er nimmt es zum Wohl des Kindes (im besten Fall) aus einer Familie heraus. (Leider viel zu selten meiner Meinung nach). Denn es ist unmöglich jemenschen etwas wegzunehmen dass ihr_ihm NICHT GEHÖRT!

    Darüber hinaus habe ich als weißer Mensch zurecht Unwohlsein dabei einen Menschen zu „HABEN“, denn in der Vergangenheit dachten wir schon häufiger den Anspruch zu besitzen entrechtete, (von uns) schlechter gestellte Menschen unser Eigen nennen zu dürfen.
    Es geht leider noch viel zu oft um Macht und um Besitzansprüche in Eltern-Kind-Beziehungen. Und ich stimme zu, dass mensch das auchgern in der Sprache reflektieren darf und das nicht nur als kleines unwichtiges Hilfsverb abtun sollte. Es ist nicht schwer zu fragen, ob Mensch ein Kind großzieht. Oder zu fragen ob Kinder Teil des Lebens des anderen sind. Es muss nicht technisch klingen, es ist nur für einige ungewohnt, weil „haben“ so gängig ist. Kein Grund das nicht zu hinterfragen/rflektieren!

  12. Also alles soll so ordentlich benannt sein, dass Sprache und Emotion in Einklang aufgehen. Was aber, wenn sich die damit einhergehende Bewertungsempfindlichkeit in gesellschaftliche Tabus durchschlägt. Natürlich können wir uns der Verknüpfung von Wörtern und Beurteilungen nicht erwehren, diesem ständigen externen Assoziationsdruck. Und es ist verständlich, dass der Wunsch nach Definitionsfreiheit dahinter zurückbleibt. Wenn ich sage „mein“ oder „habe“, dann sollte man mich aber so verstehen, wie ich es meine, auch wenn diese Wörter für sich alleine liebesfremd stehen. Liebende nutzen Sprache doch als Trägermaterial, als Impulsgeber für andere Ausdrucksformen. Ein radikaler Vorschlag: Ersetze das Wort Kind durch das Wort Sinn. Ich habe alle meine Sinne beieinander. Ich denke, bin, meine Sinne bei mir. Näher bei uns und dabei verbundener als alle Ausdrücke für Zugehörigkeit sind nur unsere Sinne. Und Geborgenheit stiften sie zudem.

  13. Ach, schwer.
    Ich habe viele Gedanken dazu, vielleicht zu viele. Ein paar will ich versuchen, aufzuschreiben, in willkürlicher Reihenfolge, nicht als Antwort, sondern eben als Gedanken:
    die Begriffsverwirrung folgt leider auch daraus, dass sich nicht sehr viele Menschen darüber Gedanken machen (wollen), und es sich auch so stricken, wie sie es brauchen.
    Bei Ungeborenen finde ich, dass wir mit Fötus auf der Diskussionsebene schon ganz gut beraten sind, im persönlichen Bereich tendierte ich immer zu Bezeichnungen für die „Wesen“, die da in meinem Bauch waren, denn Wesen waren es, ob nun zu früh und nicht lebensfähig oder zu lebensfähigen Neugeborenen gewordenen: ich wollte sie nie schon bei einem ausgesuchten Namen nennen, mir widerstrebt dieses „ich freue mich, wenn Louisa endlich auf der Welt ist“, aber dennoch haben alle schwangeren Eltern vielleicht ein Recht darauf, das selbst für sich zu entscheiden (leider nutzen es viele nicht, s.o.)
    Das gilt übrigens in beide Richtungen: genauso viele, die ihren Fritz zu früh personalisieren und schon das Zimmer herrichten, treiben andererseits ihren dann doch „nicht lebensfähigen (???) Fötus“ lieber ab, und flüchten in pseudomedizinische Argumente („es hätte eh keine Chance gehabt“). Deshalb nochmals Hochachtung vor Eurer Entscheidung und dem Weg, den ihr geht!
    Das macht Euch übrigens zu Eltern, und das ist ein Begriff, den ich gerne viel öfter lesen/hören würde, wenn es um dieses Thema geht: ich bin Eltern von zwei Mädchen, aber auch von einem verlorenen Drilling (Sternchen) und zwei Fehlaustragungen (Eins und Zellenursli), die in unseren Herzen wohnen.
    Wie offen wir damit umgehen, entscheiden nicht nur wir, sondern auch unsere Kinder, die irgendwann übrigens auch entscheiden müssen, wie offen sie damit umgehen, dass sie durch assistierte Befruchtung entstanden sind (oh! …)
    Ich mag den Begriff erziehen nicht so gern, da steckt mir zu viel „ziehen“ drin, deshalb bin ich lieber Eltern, und das kann man sowohl von Wesen, die nicht lange auf der Erde ausserhalb des Mutterleibes lebensfähig waren, sein, als auch von nicht leiblichen Kindern in den verschiedensten Konstellationen. Ich kann eh nur versuchen, meine Kinder zu begleiten, und das tun umgekehrt meine Sternchen auch: sie begleiten uns, die Eltern und Geschwister.
    Ist das zu tmi, zu wirr und esoterisch?
    Ich hoffe nicht.
    Vielleicht ändert sich auch ein bisschen was durch die neuen Regelungen? (wir sind Eltern von *Name*, die in der … Woche nicht lebensfähig geboren wurde?)

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